Seit vielen Jahren arbeite ich als agiler Coach. In der Theorie der “brauchbaren Illegalität” von Niklas Luhmann sehe ich eine interessante Perspektive auf das Verhalten innerhalb von Organisationen. Die Theorie bezieht sich auf Handlungen, die gegen die formalen Erwartungen einer Organisation verstoßen, aber dennoch einen Nutzen für die Organisation haben können.
Niklas Luhmann
In meiner Rolle als agiler Coach sehe ich es als meine Aufgabe an, Führungskräfte dabei zu unterstützen, einen Raum für solche Handlungen zu schaffen und zu tolerieren. Dies kann durch das bewusste Zulassen und Aushalten von Unbestimmtheit geschehen, um am Ende die Handlungsfähigkeit der Organisation zu erhalten. In diesem Zusammenhang kann Luhmanns Theorie in verschiedenen Dimensionen betrachtet werden, d.h. in sachlicher, sozialer oder zeitlicher Dimension.
So kann ein Beispiel aus sachlicher Perspektive so aussehen, dass ein Teammitglied bspw. Technologien entwickelt, ohne die formale Genehmigung oder das Wissen des Managements. Dies könnte zwar zu einer Verbesserung des Produkts führen, wenn es erfolgreich ist, aber es könnte auch zu rechtlichen Problemen führen, wenn es gegen Patente oder Vorschriften verstößt.
Ein häufiges Beispiel aus sozialer Perspektive kann bspw. der Verstoß gegen Hierarchien sein. So können Mitarbeiter:innen direkt mit dem oberen Management kommunizieren oder aktiv die formale Hierarchie umgehen. Dies führt zwar zu einer effektiveren Kommunikation, kann aber auch zu Konflikten oder Missverständnissen führen.
Aus zeitlicher Perspektive finden sich recht häufig Anwendungen der „brauchbaren Illegalität”. Sobald bspw. Arbeiten außerhalb der Arbeitszeiten stattfinden, können Aufgaben oder Projekte zwar schneller fertiggestellt werden. Die Durchführung der Arbeit kann aber auch Überarbeitung begünstigen oder sogar Verstößen gegen Arbeitsgesetze bedeuten.
Der Begriff der „brauchbaren Illegalität” hilft, eine neue Perspektive auf vordergründig nonkonforme Verhaltensweisen innerhalb von Organisationen zu gewinnen. Gerade im Zuge agiler Transformationen gilt es, dieses Verhalten in Hinblick auf seinen Nutzen in der Organisation zu hinterfragen, um bspw. Handlungsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken. Als agiler Coach fördere ich und unterstütze ich diese Perspektive und lote dabei die Grenze zwischen akzeptierten Verhaltensweisen auf der einen Seite aus und notwendiger Anpassung an bestehende Strukturen auf der anderen Seite.